Melanie Hubermann: Leuchtturmeltern – Wie wir Kindern in der Pubertät Orientierung geben

Wenn Familien in die Pubertät kommen, dann ist der Alltag häufig von Diskussionen und Streit geprägt. Die Kinder grenzen sich immer mehr ab, ziehen sich zurück und lassen ratlose, verunsicherte Eltern zurück.

Leuchtturmeltern von Melanie Hubermann sticht in der Landschaft der Erziehungsratgeber dadurch heraus, dass er den Fokus nicht auf die Pubertierenden legt, die es zu verändern und wieder in die Spur zu bringen gilt, sondern auf die Eltern. Wie gelingt es in diesen stürmischen Zeiten, einen festen Stand zu bekommen, Haltungen, Werte und Normen als Orientierung zu leben, einen sicheren Hafen anzubieten, ohne die Kinder darin festzumachen, sondern den Weg ins offenen Meer (Leben) als Leuchtturm zu begleiten.

Das Buch ist klar strukturiert, mit vielen Beispielen aus der langjährigen Erfahrungspraxis der Autorin und einem Merkkasten am Ende jedes Abschnitts, um das Wichtigste immer wieder schnell nachlesen zu können.

Kapitel 1 Der Leuchtturm – Die Welt braucht starke Eltern

… gibt einen ersten Einblick in das Konzept der New Authority, deren „Schlüsselwörter lauten Präsenz, Orientierung und Beharrlichkeit. Gerade in Krisensituationen vermittelt das handlungsorientierte Konzept Eltern, Lehrern und Pädagogen, wie sie sich ihrer eigenen Regeln und Werte bewusstwerden, wie sie sich eine wachsame Präsenz aufbauen, deeskalieren, Grenzen setzen und dem Kind eine respektvolle Orientierung bieten“ (S.16).

Kapitel 2 Elterliche Präsenz – Wo stehe ich

Die Elterliche Präsenz besteht aus sechs Säulen: Klare Strukturen; Transparenz und Kommunikation; Sich selbst spüren; Klare Haltung und Werte; Die Gefühle aus der Vergangenheit kennen; Informationen (S. 26/27). Dabei wird deutlich, wie die Präsenz nach außen – gegenüber den Jugendlichen – nur authentisch gelingen kann, wenn im inneren Dialog die eigenen Gefühle geklärt, der Selbstfürsorge Raum gegeben und das Elternteam gestärkt wird. So kann die Balance zwischen kontinuierlichen Beziehungsangeboten, Vertrauen sowie wachsamer Sorge gegenüber den Kindern und den eigenen Bedürfnissen und Grenzen gelingen. Die Eltern werden zu Orientierungspersonen.

Kapitel 3 Struktur, Grenzen, Wut

Die Autorin zeigt nachvollziehbar auf, wie zu wenig Struktur und Orientierung zur Überforderung werden können. Diese Überforderung kann „Angst, Zwang oder auch Aggression bei dem Kind auslösen. […]  Damit begrenzt Ihr Kind sich selbst. Es schafft sich Grenzen, motiviert durch die Angst“ (S.107). Ebenso ist der differenzierte Blick, den die Autorin auf Wut und Aggression anbietet, hilfreich, um sich mit den Gefühlen bei sich selbst und den Jugendlichen auseinanderzusetzten und als Erwachsene in eine deeskalierende Position zu gelangen, die die Türen für die Beziehung offen lässt. Mit den Tools des Lesezeichens oder der Ankündigung, die ausführlich beschrieben werden, gelingt es Eltern, aus der Ohnmacht zurück in die Handlungsfähigkeit zu kommen und das unabhängig von der Reaktion der Jugendlichen.

Kapitel 4 Das Dorf – Netzwerk und Unterstützung

Scham und Geheimhaltung von familieninternen Problemen führen zur Isolation. „Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen“ ist für Michaele Hubermann „der Schlüssel für ein entlastetes und glückliches Familienleben.“ Sie zeigt auf, wie es gelingen kann, mit Unterstützern aus dem Umfeld von Familie, Schule, Peergroup, Freundeskreis, Vereinen …etc. die elterliche Präsenz zu stärken und den Jugendlichen mit den unterschiedlichsten Beziehungsangeboten zu vermitteln: Du bist uns wichtig, wir geben dich nicht auf. Auch die Themen Schule, Eskalationen im Zusammenhang mit Hausaugaben, Schulverweigerung und abgängige Jugendliche und die Rolle des Unterstützernetzwerkes werden beleuchtet.

Kapitel 5 Wenn nichts mehr geht – das Super-Tool „Sit-in“

Mitunter eskalieren Konflikte in Familien derart, dass Eltern sich ohnmächtig und hilflos fühlen, Angst vor dem eigenen Kind und dessen Reaktionen habe. „Hochaggressive Situationen in Familien waren der Auslöser für die Entwicklung des New-Authority-Konzeptes.“ „Aber wenn ein Dialog in der Familie nicht mehr möglich ist, können Eltern den gewaltlosen Widerstand gegen das Verhalten ihres Kindes verstärken. Und damit ihre eigene elterliche Präsenz klar positionieren“ (S.209). Das Sit-in als ein Akt des Widerstandes (angelehnt an den gewaltlosen Widerstand Mahatma Gandhis A.d.A.) wird im Detail beschrieben, ebenso wie mögliche Reaktionen der Jugendliche und die Notwendigkeit der Unterstützer. Wichtig hierbei ist der Hinweis der Autorin zu Risiken und Neben- bzw. Folgewirkungen: „Die beschriebenen Interventionen sind kein Allheilmittel. Sie wirken nicht immer und total. Sie entlasten, öffnen Türen und bringen ein verkantetes Familiensystem in Bewegung. […] Nach einer großen Intervention beginnt die eigentliche Arbeit für die Familie. Werte und Haltungen müssen entwickelt werden. Oft ist eine Paartherapie hilfreich. Und es gilt die Aspekte für sich zu klären: Was ist mein und unser Lebenskonzept? Welche Strukturen brauchen wir? Wie stark sind wir als Team? Wie geht es meinem Selbstwertgefühl? So beginnt der Bau eines sicheren Hafens mit einem Leuchtturm auf einem stabilen Fundament.“

Kapitel 6 Und trotz allem lieben wir dich – Versöhnung in der Familie

„Alles, was wir tun – egal, ob wir dieses Buch lesen, uns Rat holen, uns selbst reflektieren und unser Leben aus einem neuen Blickwinkel betrachten – basiert auf einer einfachen Tatsache: Wir lieben unsere Kinder. Unsere Liebe ist der Motivationsmotor für die Arbeit an unserer Bindung, Beziehung und einem sicheren Hafen für unsere Familien.“

Melanie Hubermann macht deutlich: Um aus dem Teufelskreisen aus Streit und Verzweiflung aussteigen zu können, braucht es den positiven Blick der Eltern auf die Kinder, Liebesgesten und Wiedergutmachung statt Strafen.

Fazit: Ein absolut empfehlenswertes Buch für alle Eltern, die aus Machtkämpfen mit ihren pubertären Kindern aus- und in die Beziehungsgestaltung einsteigen wollen.